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Arbeitsrecht in Brasilien

I.  Arbeitsrechtliche Grundprinzipien

 Das brasilianische Arbeitsrecht hat seine wesentlichen Rechtsgrundlagen in der Bundesverfassung (CF – Constituição Federal) von 1988, der Konsolidierung der Arbeitsgesetze (CLT – Consolidação das Leis do Trabalho) aus dem Jahre 1943 sowie der am 13. November 2017 in Kraft brasilianischen Arbeitsrechtsreform. Der Arbeitnehmer wird in der brasilianischen Rechtsordnung historisch als die schutzbedürftige Partei angesehen, die vor ungerechter Behandlung und Ausbeutung bewahrt werden muss. Daraus erklärt sich der historisch bedingte hohe Stellenwert der mit Verfassungsrang ausgestatteten Arbeitnehmerrechte und vier arbeitsrechtlichen Grundprinzipien (Prinzip der Schutzwürdigkeit des Arbeitnehmers, Prinzip der Unabdingbarkeit von Arbeitnehmerrechten, Prinzip des Vorranges der Realität, Prinzip der Kontinuität des Arbeitsverhältnisses). Die kürzlich in Kraft getretene Arbeitsrechtsreform hat jedoch zu weitreichenden Flexibilisierungen und Änderungen geführt, die im Ergebnis die Arbeitgeberposition erheblich gestärkt haben.

 

Das Mindestalter für die Aufnahme einer Arbeitsstelle beträgt 14 Jahre. Für Jugendliche zwischen 14 und 18 Jahren gibt es spezielle Schutzvorschriften. Der gesetzliche Mindestlohn wird in Brasilien jährlich durch den Gesetzgeber angepasst und im Diário Oficial veröffentlicht. Seit Jahresbeginn 2024 beträgt er R$ 1.412,00 pro Monat. In einigen Bundesländern schreibt der Landesgesetzgeber einen höheren Mindestlohn vor. Allgemein ist anzumerken, dass Brasilien heute längst kein Billiglohnland ist, was der für europäische Verhältnisse niedrig anmutende Mindestlohn zunächst vermuten lässt. Qualifizierte und engagierte Mitarbeiter, zumal in großen Städten oder Metropolregionen, bewegen sich auf einem mit Europa vergleichbaren hohen Lohnniveau. Führungskräfte verdienen in Rio de Janeiro und São Paulo häufig sogar deutlich mehr als in Deutschland.

 

II.  Arbeitsvertrag

 Arbeitsverträge können in Brasilien schriftlich, mündlich oder durch schlüssiges Verhalten geschlossen werden. Wenn auch nicht zwingend erforderlich, so ist doch stets die Schriftform empfehlenswert, insbesondere bei leitenden Angestellten und Geschäftsführern.

Der Arbeitsvertrag kann befristet oder unbefristet abgeschlossen werden. Als allgemeine Regel gilt der Vertrag als auf unbestimmte Dauer geschlossen.

Befristete Arbeitsverhältnisse, nur einmal verlängerbar und insgesamt nicht länger als zwei Jahre, sind in folgenden Fällen möglich:

  1. Verträge über Leistungen, deren Natur oder vorübergehender Bedarf die Festlegung der Befristung rechtfertigen,
  2. Geschäftstätigkeiten mit nur vorübergehendem Charakter, und
  3. Probearbeitsverhältnisse, maximale Länge: 90

Eine mit der Arbeitsrechtsreform 2017 neu eingeführte Art des Arbeitsvertrages ist die der nicht kontinuierlichen Arbeit („trabalho intermitente“), was häufig bei Saisonarbeit der Fall ist. Der Arbeitnehmer wird nur auf Abruf für Stunden, Tage oder Monate eingesetzt, bei Bezahlung nur für die tatsächlich geleisteten Dienste.

III.  Arbeitnehmerrechte in Brasilien

 An unabdingbaren Arbeitnehmerrechten sind vor allem folgende zu nennen:

 

  • Arbeitszeit: Die maximale tägliche Arbeitszeit beträgt acht Die maximale Wochenarbeitszeit liegt bei 40 bzw. 44 Stunden, je nachdem ob es sich um eine fünf- oder sechs-Tage-Woche handelt. Pro Monat ist eine Höchstgrenze von 220 Stunden einzuhalten.

 

  • Zuschläge: Der Überstundenzuschlag beträgt mindestens 50%, wobei unter gewissen Voraussetzungen die Einrichtung eines Arbeitszeitkontos (banco de horas) möglich ist. Für Arbeitszeiten an Sonn- und Feiertagen beträgt der Zuschlag 100%; Nachtarbeiten (22:00 – 5:00 h) werden mit 20% extra vergütet. Darüber hinaus gibt es Zuschläge bei Gesundheitsgefährdung und gefährlichen
  • Pausen: Dauert der Arbeitstag länger als sechs Stunden, ist die Gewährung einer Pause von mindestens einer Stunde zur Nahrungsaufnahme zum Ausruhen zwingend erforderlich. Diese Pause ist nicht Teil der Arbeitszeit und darf, sofern nicht schriftlich oder kollektivvertraglich etwas anderes vereinbart wurde, die Dauer von zwei Stunden nicht überschreiten. Dauert der Arbeitstag mehr als vier Stunden, überschreitet jedoch nicht die Dauer von sechs Stunden, muss dem Arbeitnehmer eine Ruhe- oder Essenspause von 15 Minuten gewährt werden, die ebenfalls nicht Teil der Arbeitszeit ist. Für einige Aktivitäten gibt es spezielle Pausen, die grundsätzlich als Teil der Arbeitszeit vergütet werden.

 

  • Gehalt: Jeder Arbeitnehmer hat Anspruch auf ein 13. Monatsgehalt, welches in zwei Raten im November und Dezember ausgezahlt wird.
  • Individueller Jahresurlaub und Urlaubsgeld: Der gesetzliche Jahresurlaub beträgt 30 Er soll nach Möglichkeit zusammenhängend genommen werden, um den Erholungszweck zu gewährleisten. Sofern sich die Parteien einig sind, darf der Urlaub auch gestückelt werden, allerdings in nicht mehr als drei Zeiträume, von denen einer nicht kürzer als 14 Kalendertage und die beiden anderen nicht kürzer als fünf Kalendertage sein dürfen. Während des Urlaubes erhält der Arbeitnehmer sein normales Gehalt zuzüglich eines Urlaubsgeldes in Höhe von 1/3 des Monatsgehaltes. Bei mehr als fünf unentschuldigten Fehltagen pro Jahr darf der Arbeitgeber den Jahresurlaub kürzen.

 

  • Kollektivurlaub: Dieser kann in maximal zwei Jahresperioden mit einer Mindestdauer von jeweils zehn aufeinanderfolgenden Tagen gewährt Kollektiver Urlaub muss mindestens 15 Tage im Voraus dem Arbeitsministerium und der für die Berufsgruppe zuständigen Gewerkschaft mitgeteilt werden. Von dieser Vorabmitteilung sind Kleinst- und Kleinunternehmen ausgenommen.  Innerhalb desselben Mindestzeitraums von 15

 

 

 

Tagen vor Beginn des Kollektivurlaubs muss auch die Kommunikation an die betroffenen Arbeitnehmer stattfinden.

 

  • Garantiefonds für Beschäftigungszeit: Dieser Fonds ist unter seinem Kürzel FGTS bekannt (Fundo de Garantia do Tempo de Serviço). Während des Arbeitsverhältnisses zahlt der Arbeitgeber monatlich 8% des Bruttogehaltes auf ein besonderes Sparkonto des Arbeitnehmers ein. Wird das Arbeitsverhältnis ohne wichtigen Grund arbeitgeberseitig gekündigt, hat der Arbeitgeber eine Zusatzzahlung in Höhe von 40% des während des Bestehens des Arbeitsverhältnisses eingebrachten Guthabens auf das Sparkonto. Wird der Arbeitsvertrag einvernehmlich zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer beendet, beträgt die Zusatzzahlung lediglich 20 Die im Laufe des Arbeitslebens angesammelten und verzinslich angelegten Guthaben stellen einen wichtigen Teil der Altersversorgung dar. Sie können auch bei vorübergehender Arbeitslosigkeit zur Überbrückung helfen bzw. zur Finanzierung einer selbst genutzten Wohnimmobilie verwendet werden. Abgesehen davon ist ein Zugriff auf den FGTS in aller Regel vor Eintritt in den Ruhestand ausgeschlossen.

 

Von großer Bedeutung ist stets der für die Region und Branche geltende Tarifvertrag, der in der Regel allgemeinverbindlich ist und aus dem sich weiter gehende Arbeitnehmerrechte ergeben können und in der Regel auch ergeben.

 

IV.  Kündigung

 Eine Kündigung ist auch ohne Begründung grundsätzlich jederzeit unter Einhaltung der gesetzlichen Kündigungsfrist (30 Kalendertage plus drei Tage pro Beschäftigungsjahr bis maximal 90 Tage) möglich. Einzelvertraglich können längere) Fristen vereinbart sein. Im Falle einer arbeitgeberseitigen Kündigung ohne wichtigen Grund ist die oben erwähnte FGTS– Sonderzahlung von 40% an den Arbeitnehmer zu entrichten. Die im deutschen Kündigungsschutzrecht verankerte Verpflichtung des Treffens einer sozialen Auswahl zwischen mehreren Arbeitnehmern ist dem brasilianischen Recht fremd. Für bestimmte Personenkreise gelten allerdings gesetzliche Schutzvorschriften (z. B. bei arbeitsbedingter Krankheit, Schwangerschaft, für Gewerkschaftsführer). Zur ordnungsgemäßen Abwicklung des gekündigten Arbeitsverhältnisses gehören die Lohnzahlung für den Zeitraum der 30-tägigen Kündigungsfrist, das anteilige 13. Gehalt für die im laufenden Kalenderjahr gearbeiteten Monate sowie das anteilige Urlaubsgeld.

 

Bei Vorliegen eines wichtigen Grundes kann der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis auch ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist beenden. Dann hat der Arbeitnehmer weder Anspruch auf das (anteilige) 13. Gehalt noch auf die FGTS-Sonderzahlung von 40%. Das Arbeitsgesetzbuch (CLT) zählt die Gründe einer arbeitgeberseitigen Kündigung aus wichtigem Grund enumerativ auf.

Der gekündigte Arbeitnehmer kann innerhalb einer Frist von 2 Jahren ab Beendigung des Arbeitsverhältnisses Ansprüche gegen seinen früheren Arbeitgeber für die letzten 5 Jahre gerichtlich geltend machen. Daher ist zu empfehlen, dass sich das Unternehmen zur Schaffung von Rechtsklarheit jährlich vom Arbeitnehmer quittieren lässt, dass alle arbeitsrechtlichen Verpflichtungen erfüllt wurden und Ansprüche für den vergangenen Zeitraum nicht bestehen.

 

 

 

Geht die ordentliche Kündigung vom Arbeitnehmer aus, so kann er die FGTS-Sonderzahlung von 40% ebenfalls nicht beanspruchen.

 

V.  Anstellung von Geschäftsführern

 Geschäftsführer einer brasilianischen Gesellschaft können sowohl mit als auch ohne Arbeitnehmerstatus eingestellt werden. Dabei handelt es sich um einen in rechtlicher und wirtschaftlicher Hinsicht bedeutsamen Unterschied. Nur der Geschäftsführer mit Arbeitnehmerstatus kommt in den Genuss der Arbeitnehmerrechte. Das schafft für Unternehmen den beträchtlichen Anreiz, den Geschäftsführer als „Organ“, nicht als Arbeitnehmer zu beschäftigen. Um in einem solchen Fall spätere arbeitsrechtliche Risoken zu minimieren, ist nicht nur bei der Vertragsgestaltung große Sorgfalt anzuwenden. Auch muss die Realität, die immer Vorrang hat, darstellen, dass es sich bei dem Geschäftsführer tatsächlich nicht um einen (weisungsgebundenen) Arbeitnehmer handelt.

VI.  Beschäftigung von Ausländern in Brasilien

 

Beschäftigt ein brasilianisches Unternehmen Ausländer, muss die so genannte „2/3-Regelung“ eingehalten werden. Diese besagt, dass mindestens 2/3 aller Beschäftigten Brasilianer sein müssen und auf diese mindestens 2/3 aller gezahlten Löhne entfallen müssen. Geschäftsführer ohne Arbeitnehmerstatus zählen für diese Zwecke nicht mit.

Ausländer bedürfen einer Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigung, um in Brasilien tätig zu werden. Der für Deutsche Visum-freie Aufenthalthalt in Brasilien für Tourismus- und Business- Zwecke von 90 Tagen ermächtigt nicht zur Aufnahme einer Arbeitstätigkeit.

 

Handelt es sich um einen Arbeitsaufenthalt ohne Arbeitsvertrag in Brasilien (z. B. entsandte Techniker zum Instandsetzen einer Maschine), muss ein Technikervisum beantragt werden, welches für den Zeitraum von 180 Tagen oder 1 Jahr erteilt werden kann.

 

Hat der ausländische Mitarbeiter einen Arbeitsvertrag mit einem brasilianischen Unternehmen, muss vor der Aufnahme der Erwerbstätigkeit in Brasilien ein Arbeitsvisum erlangt werden. Dieses wird in der Regel für einen Zeitraum von zwei Jahren erteilt und kann einmalig um den gleichen Zeitraum verlängert werden kann. Voraussetzung ist neben der Vorlage des Arbeitsvertrages mit einer brasilianischen Firma und dem Nachweis bestimmter Qualifikationen und Berufserfahrung auch, dass der Arbeitsplatz nicht mit einem Brasilianer bestückt werden könnte.

 

Handelt es sich bei dem ausländischen Arbeitnehmer um einen im Gesellschaftsvertrag einer brasilianischen Firma berufenen Geschäftsführer, bedarf es für diese Person eines Dauervisums. Dieses wird in der Regel dann erteilt, wenn der ausländische Investor (Gesellschafter) eine bei der Zentralbank registrierte Kapitaleinlage von mindestens BRL 600.000,00 (Reais) nachweist. Die Höhe dieser Investition kann im Falle der Schaffung von 10 brasilianischen Arbeitsplätzen innerhalb von zwei Jahren auf BRL 150.000,00 reduziert werden.

 

Aufgrund der hohen Dichte von gut ausgebildeten einheimischen Fachkräften, insbesondere in den Metropolregionen von São Paulo, Rio de Janeiro, Belo Horizonte und weiteren Wirtschaftszentren ist der Trend zur dauerhaften Beschäftigung ausländischer Mitarbeiter in Brasilien insgesamt rückläufig.

VII.  eSocial

 Bei dem informatisierten System eSocial handelt es sich um ein digitales Buchhaltungssystem der steuer-, sozialversicherungs- und arbeitsrechtlichen Verpflichtungen (Sistema de Escrituração Fiscal Digital das Obrigações Fiscais e Previdenciárias e Trabalhistas – eSocial). Die digitalen Melde- und Dokumentationspflichten des eSocial sind seit Juli 2018 für alle brasilianischen Unternehmen bindend.

 

Nach der Registrierung des Unternehmens im eSocial muss jeder Arbeitgeber regelmäßig alle Informationen im Zusammenhang mit dem Arbeitsvertrag, der Zahlung von Steuern, der Lohn- und Gehaltsabrechnung, der Meldung eines Arbeitsunfalls, der FGTS-Zahlung und viele weitere Daten und Informationen elektronisch an eSocial übermitteln. Auf diese Weise ist gewährleistet, dass Arbeitgeber, Arbeitnehmer und alle involvierten Behörden stets Zugriff auf sämtliche automatisch aktualisierte Daten haben. Auf einen Blick ist damit auch sichtbar, ob der Arbeitgeber seinen arbeits-, steuer- und sozialversicherungsrechtlichen Verpflichtungen nachkommt. Firmen identifizieren sich in Brasilien über ihre Bundessteuernummer für Unternehmen (Cadastro Nacional da Pessoa Jurídica – CNPJ), Arbeitnehmer über ihre persönliche Bundessteuernummer (Cadastro da Pessoa Física – CPF).

In der Praxis hat eSocial als einheitlicher digitaler Kanal eine Vielzahl früher in Papierform an unterschiedliche Behörden zu versendende Formulare und Dokumente abgeschafft, wie etwa:

 

  • Formular der Abführung von FGTS und Informationserteilung an die Sozialversicherung (GFIP),
  • Jährlicher Bericht der sozialen Informationen (RAIS),
  • Arbeitsunfallkommunikation (CAT),
  • Arbeits- und Sozialversicherungsbuch (CTPS), das seit 2019 digital ist,
  • Erklärung der Bundessteuerschulden und -guthaben (DCTF),
  • Berufsprofil für die Sozialversicherung (PPP),
  • Erklärung zur an der Quelle einbehaltenen Einkommenssteuer (DIRF),
  • Allgemeines Register der Arbeitnehmer und Arbeitslosen zur Kontrolle der Aufnahme und Entlassung von Arbeitnehmern (CAGED),
  • Formular der Abführung von FGTS (GRF),
  • Normatives Handbuch für digitale Archive (MANAD),
  • Lohn-und Gehaltsabrechnung,
  • Mitarbeiterregistrierungsbuch (LRE),
  • Kündigungsmitteilung (CD),
  • Formular der Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen (GPS),
  • Übersicht der Arbeitsstunden (QHT).

 

Kommt der Arbeitgeber seiner Pflicht nicht nach, die Informationen innerhalb der vorgeschriebenen Fristen digital im eSocial bereitzustellen oder sind die eingestellten Informationen und Meldungen unrichtig, ungenau oder unvollständig, unterliegt er den im Arbeits-, Steuer- und Sozialversicherungsrecht vorgesehenen Strafandrohungen.

Stand: Juli 2024



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